Filmklassiker „La Strada – Das Lied der Straße“ (2024)

FedericoFellinis erster Welterfolg „La Strada“ spaltete bei seiner Uraufführung 1954die italienische Filmkritik, weil viele darin einen Verrat an den Idealen desNeorealismus sehen wollten. Für die internationale Auswertung wurde derursprünglich 115 Minuten lange Film stark gekürzt; arte zeigt am Montag, 21.März, jetzt eine rekonstruierte Fassung mit 108 Minuten.

Federico Fellinis erster Welterfolg „La Strada – Das Lied der Straße“ gilt als ein Meilenstein des Kinos.1954 beim Filmfestival in Venedig uraufgeführt und mit einem „Silbernen Löwen“für die beste Regie ausgezeichnet, spaltete der Film die (linke) italienischeFilmkritik wie auch das Lager der Intellektuellen. Der Vorwurf lautete auf Verratan den Prinzipien des Neorealismus, auf fehlende Reflexion und einen Anachronismusin der Hinwendung zum Einzelschicksal. Luchino Viscontis Melodrama Sehnsucht ging 1954 am Lido hingegenleer aus.

Für die Produktion von „La Strada“ musste Fellini enorme Hürden überwinden, bis Dino De Laurentiis und Carlo Ponti die Realisierung schließlichermöglichten. Im Gegensatz zu Italien wurde die Tragikomödie in Frankreich jedochvon Anfang an gefeiert. Die französischeBegeisterung rührte sicher auch aus der Nähe des Films zum poetischen Realismusder 1930er-Jahre. 1956 sicherte sich „La Strada“ dann auch den „Oscar“ für denbesten fremdsprachigen Film.

Das könnte Sie auch interessieren:

  • DieRealität der Träume. Fellini zum 100.
  • AlterGlanz, neu poliert: „La dolce vita“

Im Branchenblatt „Variety“ war die Laufzeit derFestivalfassung mit 115 Minuten angegeben; dort wurden auch einige Längen desSchwarz-weiß-Films moniert. Der spätere Medienmogul Leo Kirch erwarb die Rechtean „La Strada“ damals persönlichin Rom; der Constantin-Filmverleih brachte das international inzwischen auf 108beziehungsweise auf 94 Minuten gekürzte Werk 1956 mit einer Laufzeit von 102Minuten in die deutschen Kinos. arte nimmt den Film jetzt in der108-Minuten-Fassung am 21. März um 20.15 Uhr erneut ins Programm. In derMediathek ist er bis zum 18. Juni abrufbar.

Filmklassiker „La Strada – Das Lied der Straße“ (1)

Der Film erzählt von dem fahrenden SchaustellerZampanò, der sich selbst als Künstler sieht und eine Hilfe sucht. Einer alleinerziehendenMutter bietet er für ihre älteste Tochter Gelsomina 10.000 Lire, was Anfang der1950er-Jahre eine vergleichsweise bescheidene Summe war. Mit seinem klapprigen Wohnwagenund einer alten Harley-Davidson als Zugmaschine tingelt das ungleiche Duo fortandurch die Kleinstädte und schlägt sich beim Zirkus mit Kettensprenger-Attraktionendurch. Doch der jähzornige Zampanò kann mit dem kindlich-naiven Gemüt seiner Assistentinnicht umgehen. Das stille Mädchen fungiert nur als Blitzableiter für seineUnzufriedenheit und seine Gewaltausbrüche.

Trauer über ein vergeudetes Leben

Doch als Gelsomina vom Seiltänzer Matto musikalischinstruiert wird und auf ihren Wert als Mensch und das Recht auf ein eigenesLeben aufmerksam wird, provoziert Zampanò seinen Rivalen und landet kurzfristigsogar im Gefängnis. Auf der Landstraße stehen sich die Kontrahenten erneutgegenüber. Der gesundheitlich angeschlagene Matto überlebt diese Auseinandersetzungnicht.

Gelsomina leidet fortan unter Wahnvorstellungen, und auchZampanò verliert seine Balance; er will die nutzlose Assistentin loswerden.Jahre später erfährt er durch eine Melodie, Gelsominas Trompetenmotiv, vonihrem Tod, betrinkt sich in einer Weinschenke und kann den Hass auf dieMenschen und sich selbst nicht mehr zügeln. Allein am Meer, unter demSternenhimmel, erkennt er seine Einsamkeit und lässt den Tränen über sein vergeudetesLeben freien Lauf.

Außer den Anfangs- und Schluss-Credits sind in derdeutschen Version vier Sequenzen von Kürzungen betroffen, die die Filmaussageaber nicht grundsätzlich tangieren. So dauern die umfangreicheren Einleitungstiteldes italienischen Originals gut 30 Sekunden länger. Bedeutender ist eine fehlendeSzene mit Gelsomina, die am Straßenrand eine Blume pflückt, nachdem sie Zampanòsturzbetrunken aufgegabelt hat. Ein Mädchen mit einer Tasche beobachtet sie,ein Junge spielt im Sandloch. Gelsomina nähert sich dem Zaun und lauschtgedankenverloren am Holzpfahl.

Die anderen drei Sequenzen: Nach ihrer Flucht sitztGelsomina traurig am Straßenrand und nimmt einen Grashüpfer auf die Hand. Aufder Böschung tauchen drei Musikanten auf. Verzaubert vom Klang, läuft sie demTrio auf der regennassen Straße hinterher. – Auf einer unbefestigten Landstraßestoppt Zampanò sein Gefährt und beruhigt seine durch Mattos Tod aufgewühlteBegleiterin. Als er abseits ein Feuer macht, ergreift Gelsomina die Chance zurerneuten Flucht. Aber Zampanò bemerkt das Verschwinden und fragt, wohin siegehe. Seine Frage, ob sie wieder nach Hause möchte, beantwortet sie mit einemzögerlichen Kopfschütteln. – Im Schutz einer Steinmauer hat Zampanò eineNudelsuppe zubereitet. Sichtlich unzufrieden mit dem Ergebnis, will Gelsominadas Kochen übernehmen. Zampanò freut sich ungläubig über diese Veränderung,nachdem zwischen ihnen zehn Tage lang Stillschweigen herrschte.

Ein kaltes, unwirtliches Land

„La Strada“ist eine zeitlose Parabel aus der Nachkriegszeit in einem kalten, provinziellenItalien. Der Zustand der Vorstädte, die ärmlichen Wohngegenden, die tristen Landschaftenund die wenig einladenden Strände weisen noch nichts von der Anziehungskraft auf,die deutsche Touristen in den 1960er-Jahre so attraktiv fanden. Inmitten derSuche nach Identität und Wegen aus der Ausweglosigkeit trifft der täglicheKampf ums Überleben die Schwächeren in besonderer Weise, vor allem die Frauen. „‚LaStrada‘ ist aus der Vorstellung von einem Mann und einer Frau entstanden, dieäußerlich zusammenleben, aber in ihrem Inneren durch astronomische Weitenvoneinander getrennt sind“, erklärte Fellini.

Die Opferrolle und Ausbeutung (der Poesie) der Fraudurch das Patriarchat sowie das Recht des Stärkeren spiegeln eine sozialkritischeKomponente, die auf eine erweiterte Auslegung des Neorealismus abzielt. Es gehtdem Film um den Wert des individuellen und sei es noch so unbedeutenden Lebens.Er zeigt die Welt, den Rhythmus und den Zyklus der einfachen Menschen. Seine christlich-humaneBotschaft wird nicht zuletzt in der Sequenz im Frauenkloster sichtbar, wo einejüngere Ordensschwester in Gelsomina sofort eine Leidensgenossin erkennt und sieermutigt. Über allem liegt eine Atmosphäre des Schweigens, eine „Verfinsterungder Seele“. Gewährt der Akt der späten Reue Zampanò doch noch so etwas wie Gnade?

Filmklassiker „La Strada – Das Lied der Straße“ (2)

„La Strada“verweist auch auf die zeitgenössische, in den Don-Camillo- und Peppone-Filmenunterhaltsam eingefügte Dichotomie zwischen Katholizismus und Kommunismus. Wenigüberzeugend ist das Urteil von Luchino Visconti, dass Fellinis Charaktere nichtrepräsentativ seien; die Probleme der verarmten Landbevölkerung stünden trotz derscheinbaren Authentizität der Schauplätze und Arbeitsbedingungen derZirkusleute nicht im Zentrum von „La Strada“. Doch Fellinis „Dialektik derGefühle“ versteht sich gerade als Versuch, den orthodoxen Neorealismusaufzubrechen und die Vorstellung von Authentizität zu erweitern. Durchaus imSinne von Michelangelo Antonioni, der die Stilrichtung durch seineomnipräsente Melancholie, die Krankheit der Gefühle in einer von derIndustrialisierung entfremdeten urbanen Mittelschicht, umwidmete.

Pilgerschaft ohne Heiligenschein

„La Strada“und Gelsomina sind auch eine Hommage an Charlie Chaplin, mitpoetisch-humanen Zwischentönen der Selbst- und Nächstenliebe. „Gezeichnet“ vomGuten im Menschen, vom Glauben, der Hoffnung und der Liebe. In diesen grauen,existentiellen Seelenlandschaften müssen die Ruhe- und Ziellosen Schiffbrucherleiden, weil sie sich selbst nicht wertschätzen und gegenseitig nur verletzen.Sie sind unfähig zur Kommunikation und Solidarität, einer gesellschaftlichenUnterschicht verhaftet und durch die Auswirkungen des Krieges zu Einsamkeit undIsolation verdammt. 1976 sprach Fellini im Vorwort zum Drehbuch von einem „Gefühl,dem die Vorstellung eines ziellosen Herumwanderns durch Vorstädte und Dörfer entsprang,in einer Zeit, die durch die Abfolge der Jahreszeiten ihren Rhythmus erhielt;eine pikareske Erzählung von Zigeunern und Gauklern.“

Diese emotional aufwühlende Pilgerschaft – mit einemunsichtbaren Heiligenschein – verdankt dabei sehr viel den unprätentiösen,hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Giulietta Masina,Anthony Quinn und Richard Basehart. Der dezent-verführerischeZauber der Musik, das vielzitierte leitmotivische Trompetenspiel, stammt von Nino Rota. Und der Kameramann Otello Martelli taucht die zumKultfilm avancierte Geschichte einer Hassliebe in unvergessliche Schwarz-weiß-Bilder.

Hinweis:

arte zeigt am Montag, 21.3., 20.15-22.00 Uhr, dierekonstruierte Fassung von „La Strada“ mit einer Laufzeit von 108 Minuten. DerSchwarz-weiß-Film ist bis 18. Juni auch in der arte-Mediathekzu sehen.

Filmklassiker „La Strada – Das Lied der Straße“ (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Recommended Articles
Article information

Author: Lakeisha Bayer VM

Last Updated:

Views: 6083

Rating: 4.9 / 5 (49 voted)

Reviews: 88% of readers found this page helpful

Author information

Name: Lakeisha Bayer VM

Birthday: 1997-10-17

Address: Suite 835 34136 Adrian Mountains, Floydton, UT 81036

Phone: +3571527672278

Job: Manufacturing Agent

Hobby: Skimboarding, Photography, Roller skating, Knife making, Paintball, Embroidery, Gunsmithing

Introduction: My name is Lakeisha Bayer VM, I am a brainy, kind, enchanting, healthy, lovely, clean, witty person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.